2) Was ist ein "Ländliches Parlament"?Ländliches Parlament (engl. Rural Parliament), auch: Parlament der Dörfer (in Brandenburg) Das „Ländliche Parlament“ ist von der schwedischen Dorfbewegung entwickelt worden als ein Höhepunkt dieser Bewegung. Inzwischen sind die meisten Dorfbewegungen diesem Beispiel gefolgt. Es ist ein landesweites Treffen von Vertretern der Dorfgemeinschaften. Da nicht jede Dorfgemeinschaft vertreten sein kann (die schwedische Dorfbewegung hat z. B. 5000 Dorfaktionsgruppen bzw. Dorfvereine als Mitglieder), gibt es in manchen Dorfbewegungen ein Auswahlprinzip. In Estland kann jede Region eine bestimmte Zahl von Dörfern auswählen, in anderen Dorfbewegungen, wie z.B. in der schwedischen, wird es dem Zufall überlassen. Dort treffen sich jedes zweite Jahr bis zu 1000 Dorfvertreter (ich habe aber auch ein Ländliches Parlament kennen gelernt, an dem nur 400 Dörfer vertreten waren). Aber nicht nur das landesweite Treffen von Dorfakteuren ist das Wesentliche, sondern dass daran auch Vertreter der Politik aller Ebenen, bis hin zu Ministern, vertreten sind. Und das Wesentliche und Neue eines Ländlichen Parlaments ist, dass sich dort Dorfakteure und Politiker „auf Augenhöhe“ begegnen. Und das im wörtlichen Sinn: Ich habe erlebt, dass einige Minister der schwedischen Regierung mehrere Tage lang an allen Veranstaltungen teilnahmen, in Seminaren, Exkursionen, Diskussionsrunden mit den Praktikern aus den Dörfern Probleme berieten und gemeinsam nach Lösungen suchten. Das schafft Verständnis und Vertrauen. Überdies beschließt solch ein Parlament zwar keine Gesetze, wie ein staatliches Parlament, jedoch Vorschläge, Wünsche und Forderungen an die Politik im Interesse der Dörfer und erwartet, dass Politiker auf dem nächsten Ländlichen Parlament berichten, was seitens der Politik verwirklicht wurde. Überdies ist solch ein mehrtägiges Ländliches Parlament eine besondere Art der Schulung“ und des Erfahrungsaustauschs. Spezialisten halten Fachvorträge, Dörfer präsentieren die besten Erfahrungen in Seminaren, Ausstellungen und Einzelgesprächen. Abendliche Kultur- und Geselligkeitsveranstaltungen dienen ebenfalls der Begegnung auf Augenhöhe und der Vertrauensbildung. Solche Treffen stärken das Selbstbewusstsein der Dorfakteure und das Bewusstsein der gemeinsamen Kraft, über die die Dörfer verfügen. Nicht zuletzt spielten die Ländlichen Parlamente, vor allem das schwedische, bevor das Europäische Ländliche Parlament 2013 seine Arbeit aufnahm, einen wichtige Rolle für den internationalen Erfahrungsaustausch der Dorfbewegungen und die Unterstützung neuer Dorfbewegungen.
Kleiner Exkurs: Mein erstes „Ländliches Parlament“ Im Jahr 2000 war ich [Als Vertreter des Ökospeicher e.V. Wulkow b. Frankfurt (Oder), der als ein Vertragspartner in dem geplanten Projekt mitwirken sollte. Kra] in der schwedischen LEADER-Region Wimmerby zu Gast, um über ein gemeinsames Projekt mit der Oder-Region zu beraten. Meine Verhandlungspartnerin war halbtags als LEADER-Managerin tätig und – zu meinem Erstaunen - in ihrem Dorf gleichzeitig eine junge Bäuerin, die von ihrem Vater den Hof geerbt hatte, auf dem sie eine Schafzucht betrieb. In der Einladung hatte sie mir mitgeteilt, dass in diesen Tagen das „Ländliche Parlament“ Schwedens – ein mehrtätiges, landesweites Treffen von Dorfvertretern – stattfinden sollte, an dem sie teilnehmen müsse. Da ich nicht wusste, was das ist, hatte ich neugierig gefragt, ob ich da teilnehmen könne und erfuhr – nächstes Erstaunen – dass das ohne weiteres möglich sei. Wir fuhren also gemeinsam nach …. und in einem großen Festsaal versammelten sich zur abendlichen Eröffnungssession ca. 1000 Vertreter von Dorfaktionsgruppen aus dem ganzen Land (mein drittes Erstaunen: eine landesweite Versammlung von Dörfern!). Ich kam aus dem Erstaunen nicht heraus, als ich hörte, wie der Vorsitzende der Dorfbewegung nach der Eröffnung den schwedischen Premierminister als Gast begrüßte, der sich mit einem Grußwort bedankte und sich lobend über die Leistungen der schwedischen Dorfbewegung äußerte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass so etwas in der Bundesrepublik geschehen würde. Ich erfuhr, dass die schwedische Dorfbewegung in den 1980er Jahren im Rahmen einer vom Europarat (Council of Europe) initiierten europäischen Kampagne für den ländlichen Raum entstanden war. Ein Anlass dafür war, dass im Ergebnis einer staatlich geführten kommunalen Gebietsreform viele Dörfer, die als kleine Gemeinden in Großgemeinden zusammengeschlossen worden waren, dadurch ihre kommunale Selbstbestimmung verloren hatten; immer mehr Dorfgemeinschaften bildeten daher sogenannte „Dorfaktionsgruppen“, um die Geschicke ihres Dorfes wieder in die eigenen Hände zu nehmen und – indem sie sich miteinander verbanden, entstand daraus die Dorfbewegung Die schwedische Dorfbewegung organisiert alle zwei Jahre ein solches landesweites Treffen der Dörfer, zu dem auch politische Entscheidungsträger alles Ebenen eingeladen werden. Auch hier kam ich aus dem Staunen nicht heraus. Erstens, weil ich erlebte, wie selbstverständlich Dorfakteure und Politiker „auf Augenhöhe“ miteinander umgingen, zweitens, dass sogar Minister alle drei Tage anwesend waren, an Exkursionen teilnahen und in den Seminaren oder Pausengesprächen gemeinsam mit Dorfakteuren Probleme besprachen und um Lösungswege rangen. Eine Vielzahl von Seminaren und Workshops war darauf ausgerichtet, landesweit Erfahrungen auszutauschen und best practice – Beispiele zu präsentieren. Gleichermaßen diente eine Ausstellung dazu, dass Dörfer sich als Ganzes vorstellen und allgemein interessierende Ergebnisse und Erfahrungen darstellen konnten. Abendveranstaltungen mit Tanz dienten dem Treffen alter Bekannter, fröhlicher Geselligkeit und der Entspannung. Erneutes Erstaunen rief bei mir die Abschlussveranstaltung hervor. Zu einer Podiumsdiskussion saßen die Vertreter aller im staatlichen Parlament vertretenen Parteien zusammen auf der Bühne und der Vorsitzende der Dorfbewegung fragte die Parteienvertreter nach ihren Meinungen und Vorstellungen über wichtige Probleme, die Gegenstand des Ländlichen Parlaments gewesen waren. Überdies wurden sie nacheinander aufgefordert, über die Erfüllung von Aufgaben und Forderungen zu berichten, die vom vorhergehenden Ländlichen Parlament an die politischen Parteien bzw. die Regierung gestellt worden waren. Abschließend wurde in einer Plenarsitzung ein Beschluss diskutiert und verabschiedet, in dem Forderungen und Wünsche an die Politik formuliert waren, die im Laufe der drei Tage von den Dorfakteuren aufgeworfen worden waren. All jene Aspekte, die mein Erstaunen hervorgerufen hatten, reflektierten im Grunde das Neue und Unverwechselbare eines zivilgesellschaftlichen Parlaments der Dörfer.
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