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1) Was ist eine Dorfbewegung?

Eine Dorfbewegung ist eine Bewegung von Dörfern, genauer: eine Bewegung von Dorfgemeinschaften, also Gruppen von Menschen, die sich zusammenschließen, um gemeinsam mit anderen Gruppen von Menschen etwas zu bewirken.
Was wollen sie bewirken? Was ist der Zweck, das Ziel einer Dorfbewegung?
Es ist eine Bewegung von Dörfern und für Dörfer; also die Bewegung der Dörfer, die etwas für Dörfer erreichen will. Und bei all dem, was Dorfbewegungen tun, haben sich allgemein zwei Hauptaufgaben herausgebildet:

Erstens:
Die Dörfer dahingehend zu fördern, dass sie sich selbst organisieren; das heißt, dass die Dorfgemeinschaft sich selbst um das Wohl ihres Dorfes kümmert.
Diese „Selbstorganisation“ umfasst drei Elemente: Aktive Leute im Dorf schließen sich zusammen, um sich um die Angelegenheiten des Dorflebens zu kümmern. Nun könnte man einwenden, dass das doch Sache der Gemeinden, der Kommunalorgane, wären, der kommunalen Selbstverwaltung. Aber viele Dörfer sind keine eigene Gemeinde mehr, sondern wurden zu sogenannten „Ortsteilen“ von größeren Gemeinden. Das heißt, mehrere Dörfer bilden eine Gemeinde, aber das einzelne Dorf hat keine Gemeindevertretung, kein gewähltes Parlament, mehr. Daher haben sich in manchen Ländern, so in Schweden und Finnland, lokale Aktionsgruppen von Dorfakteuren gebildet, und daraus sind in Schweden und Finnland die ersten Dorfbewegungen entstanden. Das bedeutete, dass zivilgesellschaftliche Organisationsformen unterhalb der kommunalen Formen entstanden sind, und die daraus entstandene Bewegung ist eine zivilgesellschaftliche Struktur, die neben staatlichen und kommunalen Strukturen existiert. Und die Förderung der Selbstorganisation der Dörfer erfolgt mittels dieser Dorfbewegung, also durch die Dörfer selbst,, indem sie z.B. ihre Erfahrungen austauschen, wie man am besten die Selbstorganisation verwirklicht.
Das zweite Element der Selbstorganisation ist die Selbstbestimmung. Das heißt, die lokale Aktionsgruppe im Dorf, inzwischen meist in einen Dorfverein verwandelt, um einen Rechtsstatus zu haben, macht sich Gedanken über die Zukunft des Dorfes, schlägt Projekte vor, z.B. für ein Dorfzentrum oder einen neuen Dorfladen, und macht der Gemeindevertretung entsprechende Vorschläge für die Planung.
Das dritte Element der Selbstorganisation, ihr Herzstück, ist die Selbstgestaltung, auch als „bürgerschaftliches Engagement“ für dörfliche Angelegenheiten bezeichnet, z.B. das Kulturleben oder die Jugendarbeit, die ehrenamtliche Mitarbeit am Bau eines Dorfzentrums oder die Bildung von Fahrgemeinschaften. Also Selbstgestaltung ergänzt oder bereichert die staatliche bzw. kommunale Daseinsvorsorge durch freiwillige Aktionen.
Selbstorganisation ist also Ausdruck eines hohen Niveaus des sich Kümmerns der Dorfgemeinschaft um sich selbst, man muss sie lernen und dazu bereit sein. Und weil die Dörfer sich dabei gegenseitig helfen sollen, kann das organisiert sein, zum Beispiel sind regionale Dörfernetze eine günstige und bewährte Form dafür.

Zweitens:
Die zweite Hauptaufgabe einer Dorfbewegung ist die Vertretung der Interessen der Dörfer in der Gesellschaft und gegenüber dem Staat. Manchmal wird das mit einer Gewerkschaft verglichen. Es hat zwar Ähnlichkeiten, ist aber anders. In einer Gewerkschaft sind Personen Mitglieder und haben Rechte als Mitglieder. Dorfbewegungen sind unterschiedlich organisiert; in manchen sind die Dörfer Mitglieder und bezahlen Beiträge. In anderen gehören Dorfgemeinschaften durch eine Erklärung dazu – so in Brandenburg - ohne im juristischen Sinn Mitglied zu sein und ohne Mitgliedsbeitrag zu zahlen. Es ist offenkundig, dass eine Dorfbewegung umso besser die Interessen ihrer Dörfer vertreten kann, je mehr Dörfer zu ihr gehören. Darum ist es für eine junge Dorfbewegung vordringlich, möglichst schnell viele Dörfer zum Mitmachen zu gewinnen.
Die schwedische Dorfbewegung hat in diesem Zusammenhang ein Ländliches Parlament entwickelt. Jedes zweite Jahr treffen sich bis zu 1000 Akteure aus Dörfern mehrere Tage lang, um Vorträge zu aktuellen Fragen zu hören und zu diskutieren, durch Seminare, Exkursionen und Ausstellungen Erfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen. Eine Besonderheit besteht darin, dass dort Politiker aller Ebenen, auch Minister und Parlamentsabgeordnete, teilnehmen, um in all diesen Formen mitzuwirken und abends auch gemeinsam zu feiern. Das ist eine neue Form der Begegnung von Dorfakteuren mit Politikern auf Augenhöhe; man lernt voneinander, bekommt mehr Verständnis für die Probleme des anderen, entwickelt Ansätze für gemeinsame Lösung von Problemen. Es werden Empfehlungen und Forderungen der Dörfer an den Staat artikuliert und beschlossen. Und beim nächsten Parlament müssen Politiker berichten, was davon umgesetzt worden ist. Die meisten Dorfbewegungen sind dem schwedischen Beispiel mit eigenen Ländlichen Parlamenten gefolgt.


Handout für Dorfakteure zum Thema „Dorfbewegung und Erfahrungsaustausch“
von Kurt Krambach

Nachzulesen u.a.:
Unterschied zwischen „Gemeinde“ und „Dorf“ …

„Alleinstellungsmerkmal“ einer Dorfbewegung:
Eine Dorfbewegung ist eine Bewegung von Dörfern und für Dörfer.
Was heißt das?

a) „eine Bewegung von Dörfern“ bedeutet: Die Dorfbewegung besteht aus Dörfern; Dorfgemeinschaften sind Mitglieder der Dorfbewegung. Das ist das Alleinstellungsmerkmal, das eine Dorfbewegung von anderen Bewegungen oder Organisationen unterscheidet! Es gibt keine anderen Bewegungen oder Organisationen, die Dörfer als Mitglieder haben.

b) „eine Bewegung für Dörfer“ bedeutet: Die Dorfbewegung fördert und unterstützt die Dorfgemeinschaften. Es gibt auch andere Institutionen und Organisationen, die Dörfer fördern und unterstützen. Jedoch eine weitere Besonderheit der Dorfbewegung ist, dass Dörfer durch andere Dörfer unterstützt und gefördert werden: Der Erfahrungsaustausch zwischen Dörfern ist die wichtigste Form, in der die Dorfbewegung die Dörfer fördert und deren Entwicklung unterstützt.

Die Dorfbewegungen in Europa
von Vanessa Halhead

Erste umfassende Publikation zu Dorfbewegungen. Diese Studie der schottischen Soziologin trug maßgeblich zur Verbreitung der Erfahrungen und zum Entstehen weiterer Dorfbewegungen bei. Sie wurde 2005 von dem europäischen Netzwerk PREPARE veröffentlicht und kann in der kompletten englischen Fassung von dessen Website www.PREPARENetwork.org heruntergeladen werden.
Vanessa H. unterscheidet zwischen Dorfbewegungen nach dem schwedischen Beispiel – Aktionsgruppen oder Dorfvereine als zivilgesellschaftliche Strukturen vor Ort, die Mitglieder dieser Bewegung sind – und Formen wie einem „Ländlichen Forum“ (RURAL FORUM), die eine zentrale Organisation bzw. Vernetzung von Organisationen als Interessenvertretung der Dörfer sind, aber mangels zivilgesellschaftlicher Strukturen vor Ort noch keine Mitgliederbasis haben, also eher ein Vorform der klassischen Dorfbewegung sind. Im zweiten Teil der Studie präsentiert sie nationale Beispiele aus Dänemark, Estland, Finnland und der Slovakei.

Die deutsche Übersetzung von Kurt Krambach, 2006 von der Rosa Luxemburg Stiftung herausgegeben, beschränkt sich auf die verallgemeinerten Erfahrungen (ohne die nationalen Beispiele). Sie ist nur online unter www.rosalux.de zu finden.


       

Eine erste Publikation über Dorfbewegungen von Vanessa Halhead erschien bereits 2004 in einer deutschsprachigen Zeitschrift, dem „LEADERforum“ H.1/2004
Ich hatte dem LEADER-Forum den Kontakt zu der Autorin vermittelt, ihren Artikel übersetzt und war in einem Diskussionsbeitrag dazu der Frage nachgegangen, ob das auch für Deutschland ein Modell sei, einer Frage, auf deren Antwort ich damals selbst noch auf der Suche war. Der Artikel ist nicht nur als historisches Dokument von Interesse, sondern auch durch eine Sichtweise auf die Entstehung und Rolle von Dorfbewegungen, die von der Kraft der Dörfer ausgeht.

Etwas später war es mir möglich, in einem Informationsmaterial zu einer Konferenz über die Zukunft des ländlichen Raumes in Deutschland die Frage genauer zu beantworten:

Dorfaktionsbewegungen in europäischen Ländern – sind ihre Erfahrungen auch in Deutschland von Interesse?

Dorfbewegung – Warum und Wie RLS papers
von Kurt Krambach

Eine erste komplexe Studie zur Dorfbewegung, auf deutsche Verhältnisse zugeschnitten, wurde von Kurt Krambach 2013 bei der Rosa Luxemburg Stiftung veröffentlicht, basierend auf zehnjährigen Erfahrungen von Schritten und Versuchen, eine deutsche Dorfbewegung unter Nutzung der internationalen Erfahrungen auf den Weg zu bringen, wobei praktische Erfahrungen und empirische Studien der deutschen Dorfentwicklung eine erhebliche Rolle spielten.


Die Studie „Dorfbewegung – Warum und Wie?“ wurde von der Rosa Luxemburg Stiftung gefördert, deren Gesprächskreis Ländlicher Raum ich 2002 gegründet hatte und seither koordinierte. Der Gesprächskreis hat von Anfang an das Thema „Dorfbewegung“ zu einem zentralen Gegenstand gemacht mit dem Ziel, die Idee und die Erfahrungen zu verbreiten und Anregungen für die Entwicklung einer deutschen Dorfbewegung zu geben.

Deshalb wurde im ersten Teil dieser Studie anhand der gesammelten Erfahrungen erklärt, was eine Dorfbewegung ist, welchen Zweck sie hat und wie sie geschaffen werden könnte, basierend auf dem schwedischen Modell.

Die Untersuchungen zu dieser 2013 veröffentlichen Studie wurden bereits vor der Internationalen Dorfkonferenz 2011 durchgeführt. Alles, was zum Komplex „Selbstorganisation“ ausgesagt wurde, basiert auf Befragungen von Dorfakteuren, um Erkenntnisse vermitteln zu können, was real möglich und machbar ist. Die Probleme der „Selbstbestimmung“ wurden bereits auf der genannten Dorfkonferenz artikuliert, 2013 auf dem ersten Europäischen Ländlichen Parlament vorgetragen, führten zu einem Vorschlag im Abschnitt 26 des auf dem zweiten Europäischen Ländliche Parlament 2015 beschlossenen Rural Manifesto und zu Schlussfolgerungen in der Präsentation der Brandenburger Dorfbewegung vor einer Enquetekommission des Brandenburger Landtages zu den Möglichkeiten der Dorfbewegung für die Stärkung der lokalen Demokratie in den Dörfern.








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