7) Zusammenfassung: Wie entsteht eine Dorfbewegung?
oder: Wie schafft man eine Dorfbewegung?
Kann eine Dorfbewegung spontan entstehen oder muss sie bewusst geschaffen werden? Beides ist denkbar und für beides gibt es Beispiele und Erfahrungen. Von den ersten Dorfbewegungen in Finnland und Schweden ist bekannt, dass es im Grunde mit der Entstehung der ersten Dorfaktionsgruppen begann, in denen das Bedürfnis wuchs, ihre Erfahrungen auszutauschen und sich zusammenzuschließen, um stärker und lauter für ihre Interessen eintreten zu können. Also gewissermaßen ein Bottom up – Start? Ja, aber in beiden Ländern entstanden auch zentrale Initiativen, die diesen Prozess des Zusammenschlusses der Dörfer zu einer landesweiten Bewegung organisierten. In Finnland erlebte ich Anfang der 1980er Jahre hautnah, wie junge Agrarsoziologen, mit denen wir im wissenschaftlichen Austausch standen, als Mitarbeiter einer Universität, die zu einem breiten Bündnis von Institutionen zur Schaffung einer Dorfbewegung gehörte, zu diesem Zweck Landeinsätze machten. In Schweden waren es Vertreter von kooperierenden Institutionen, die als dortige Träger einer europaweiten Kampagne der EU für den ländlichen Raum die Entstehung der Dorfbewegung vorantrieben. Generell gilt wohl, dass der Entstehungsprozess einer Dorfbewegung, der doch zunächst durch den Zusammenschluss von immer mehr Dörfern gekennzeichnet ist, ein Gemisch von Bottom up – und Top down – Prozessen ist. In Brandenburg hatten wir die Erfahrung gemacht, dass u.a. auf Grund negativer Erfahrungen aus den Transformationsprozessen nach dem „Beitritt“ der DDR zur Bundesrepublik allgemeine Aufrufe und Veröffentlichungen nicht ausreichten, sondern in der Regel eine intensive Erklärungs- und Überzeugungsarbeit mit den Vertretern der jeweiligen Dorfgemeinschaften notwendig.
Insofern erscheint es gerechtfertigt, angesichts der vorliegenden und zugänglichen internationalen Erfahrungen folgende
erste LEHRE an den Anfang zu stellen:
Der erste Schritt, um eine Dorfbewegung zu schaffen, ist die Einrichtung einer Institution, deren Personal in der Lage ist und dafür brennt, den Prozess der Formierung der Dorfbewegung zu planen und zu organisieren.
Dabei ist es günstig, diese Initiative in eine Rechtsform zu kleiden.
Alle Erfahrungen sprechen dafür, dass diese Institution zivilgesellschaftlichen Charakter tragen, aber staatlich gefördert sein sollte. Die ersten Institutionen hatten lange darum kämpfen müssen. Inzwischen gehört es zur Normalität, umso mehr, als das EUROPÄISCH LÄNDLCHE PARLAMENT darauf orientiert hat, dass staatliche Vertreter und Dorf- bzw. Dorfbewegungsakteure sich „auf Augenhöhe“ begegnen mögen. Egal, ob die zivilgesellschaftliche Form eine Arbeitsgruppe oder ein Office ist oder die Rechtsform eines Vereins hat, die Aufgabe, eine Dorfbewegung zu schaffen, ist etwas, das außerhalb dieser Institution liegt; die Bewegung ist nicht Teil dieser Institution. Egal, ob das Personal verschiedene beruflicher Herkunft oder wissenschaftlich graduiert ist oder erfahrene Dorfakteure dazu gehören, sie müssen dafür qualifiziert und lernfähig sein, sollten strategisch denken und praktisch handeln können.
Günstig ist, wenn diese Führungsinstitution von Anfang an mit einer Geschäftsstelle und einem Kern von bezahlten Akteuren / Führungskräften ausgestattet werden kann. Hierfür wäre staatliche Förderung angebracht.
Zu einem späteren Zeitpunkt, nachdem die Dorfbewegung eine gewisse zahlenmäßige Stärke und räumliche Ausbreitung erlangt hat, ist es sinnvoll, mittels demokratischer Wahlen einen Vorstand oder einen Rat als Führungsorgan aus den Reihen der Mitglieder (Repräsentanten der Dorfgemeinschaften) zu wählen. Damit verliert die ursprünglich organisierende Institution ihre Führungsrolle und kann z.B. als Management, das dem Vorstand untersteht, weiterarbeiten.
Eine zweite Lehre ist, dass man von Anfang an, spätestens mit der Gründung der organisierenden Institution, sich in allen Entwicklungsstufen an den internationalen Erfahrungen orientieren und sie entsprechend den eigenen Bedingungen anwenden sollte.
Das betrifft sowohl die strategischen als auch die Organisationsfragen. Es ist zweckmäßig, die entsprechende Literatur zu Rate zu ziehen und die vielfältigen Möglichkeiten des internationalen Erfahrungsaustauschs zu nutzen. Dazu gehören die Möglichkeiten des Kontaktes mit erfahrenen Dorfbewegungen und der Teilnahme an deren ländlichen Parlamenten wie auch die zu empfehlende Mitarbeit von Anfang an in der Europäischen Allianz der Dorfbewegungen / EUROPEAN RURAL COMMUNITY ALLIANCE (ERCA) sowie an dem zweijährlichen Europäischen Ländlichen Parlamenten / EUROPEAN RURAL PARLIAMENT (ERP). Es hat sich bewährt, möglichst viele Dorfgemeinschaften in die internationale Kooperation einzubeziehen, in Projekte und Befragungen. Wenn Dorfgemeinschaften sich mit ihren Meinungen und Vorschlägen einbringen und sich dann in Beschlüssen von ERCA oder den Verlautbaren eines ERP (der „europäischen Stimme der Dörfer“) wieder finden, kann das zur Stärkung des Bewusstseins der eigenen und gemeinsamen Kraft und zur Gewinnung weiterer Dorfgemeinschaften für die jeweilige Dorfbewegung beitragen.
Die dritte Lehre ist, am Beginn eine Strategie auszuarbeiten, die einerseits eine Orientierung für das Herangehen der organisierenden Institution an die Entwicklung der Dorfbewegung und andererseits die strategische Grundorientierung für die Rolle, die Funktion und Struktur der zu entwickelnden Dorfbewegung enthält.
Es ist erforderlich, eindeutig zwischen der Rolle der organisierenden Institution und der von ihr zu entwickelnden Dorfbewegung zu unterscheiden. Das Team der Institution braucht eine corporate identity, die Regeln für das gemeinsame und arbeitsteilige Handeln zur Entwicklung der Dorfbewegung enthält. Vorausschauend sollten die besonderen Bedingungen fixiert werden, die zu berücksichtigen sind, um die Hauptaufgaben der Dorfbewegung und ihre Strukturen zu realisieren sind. Es muss klar beantwortet werden, dass die Dorfbewegung sich aus Dorfgemeinschaften formiert, die nicht Mitglied der organisierenden Institution werden sollen.
Strategisch muss auch das Verhältnis zum Staat bzw. staatlichen Institutionen geklärt werden. In manchen Ländern hat sich als günstig erwiesen, dass die organisierende Institution bzw. die Dorfbewegung durch Leader-Strukturen unterstützt wurden. Es gab auch Beispiele, dass hauptamtliche LAEDER-Manager zugleich ehrenamtliche Funktionen in der Dorfbewegung ausübten. Nicht bewährt haben sich jedoch Versuche, dass LEADER-Strukturen solche von Dorfbewegungen zu ersetzten suchten bzw. Funktionen von Dorfbewegungen ausüben wollten. Manche mussten erst noch lernen, mit zivilgesellschaftlichen Strukturen oder Kräften auf Augenhöhe zu kooperieren, ohne sich kontrollierend einzumischen. Anstelle der finanziellen und inhaltlichen Unterstützung gab es Beispiele, dass LEADER-Strukturen zu Mitveranstaltern von ländlichen Parlamenten wurden. Damit wird jedoch das Augenhöhe-Prinzip verletzt und entspricht nicht den in der europäischen Dorfbewegung vorherrschenden Auffassungen von der Selbstständigkeit und Eigenverantwortung zivilgesellschaftlicher Strukturen. Ähnlichen Klärungsbedarf gibt es auch zwischen den kommunalen Strukturen auf der Ebene von sogenannten „Ortsteilen“ größerer Gemeinden, die eigentlich Gemeindeteile sind, ohne Anteil an der Selbstbestimmungsrolle der Gemeinde zu haben, und den zivilgesellschaftlichen Strukturen der Dorfbewegung auf der Dorf- (Ortsteil-) Ebene, z-B einem Dorfverein, der die Mitgliedschaft einer Dorfgemeinschaft in der Dorfbewegung repräsentiert und dessen lokale Selbstorganisation nicht durch kommunale Regelungen eingeschränkt werden
kann (siehe hierzu weiter unten: fünfte Lehre). Die vorausschauende Strategie sollte auch entsprechend den Besonderheiten des jeweiligen Landes die generellen Hauptaufgaben jeder Dorfbewegung – die Förderung der Selbstorganisation und die Interessenvertretung der Dörfer – präzisieren. Hinsichtlich der Selbstorganisation betrifft das neben den schon betrachteten Elementen „Selbstbestimmung“ und „Organisationsformen der Akteure“ die inhaltlichen Schwerpunkte der „Selbstgestaltung“, also der für viele Dörfer zutreffenden Aufgaben für bürgerschaftliches Engagement aus dem allgemeinen Stand der Daseinsvorsorge sowie des demografischen und Klimawandels. Hinsichtlich der Interessenvertretung betrifft das u.a. Aufgaben, die sich aus dem Stand der staatlichen Anerkennung der Subjektrolle der Dorfgemeinschaften, den Problemen der staatlichen Förderung der Dorfentwicklung und der Anerkennung der Dorfbewegung durch die staatlichen und kommunalen Organe sowie durch andere zivilgesellschaftliche Organisationen, generell aus dem erreichten Niveau der „Begegnungen auf Augenhöhe“ ergeben.
Die vierte Lehre ist, dass am Beginn die quantitative Stärkung der Dorfbewegung zunächst die vorrangigste Aufgabe ist.
Dabei ist die Erfahrung wichtig, dass viele Vertreter von Dorfgemeinschaften den Schritt zur Teilnahme an einer Dorfbewegung sehr ernsthaft erwägen und sich oft erst nach geduldig erklärten oder sichtbar gewordenen Vorteilen für das Dorf und die Gesellschaft für eine solche Entscheidung eintreten. Jede Dorfbewegung bzw. die organisierende Institution müssen klären, in welcher Form die Mitwirkung bzw. Mitgliedschaft in einer Dorfbewegung auf Grund der vorhandenen kommunalen oder zivilgesellschaftlichen Strukturen sinnvoll ist. Generell sollte man das allgemein verbreitere Argument gegen die Dorfbewegung: „Wir brauchen keine neuen Strukturen“ und deren Begründung, dass die vorhandenen oder ergänzten kommunalen Strukturen, wie z.B. Ortsbeiräte und Ortsvorsteher auf der Dorfebene, ausreichten, mit der Argumentation entkräften, dass – wie in anderem Zusammenhang schon erklärt - zivilgesellschaftliche Strukturen für alle Dorfbewohner offen sind und keinerlei staatlichen Begrenzungen unterliegen. Zum Beispiel haben wir als Brandenburger Dorfbewegung, als eine Enquetekommission des Landtages die Möglichkeiten der Stärkung der lokalen Demokratie diskutierte, um die durch die Bildung von Großgemeinden verursachte Einschränkung der lokalen Selbstbestimmung auf der Dorfebene zu überwinden, einerseits deren Vorschläge für die Ermächtigung der Ortsbeiräte unterstützt, die vorsahen, ihnen einen Teil der kommunalen Entscheidungsbefugnisse zu übertragen und durch einen Teil der kommunalen Haushaltsmittel zu untermauern, aber andererseits deutlich gemacht, welche zivilgesellschaftlichen Möglichkeiten die lokale Demokratie auf der Dorfebene ausweiten uns vertiefen können, wie z.B. Zukunftswerkstätten, Aufgreifen früherer Dorfgestaltungspläne, das bürgerschaftliche Engagement für Projekte zur Bereicherung der Daseinsvorsorge und nicht zuletzt die Wiederbelebung der traditionellen Dorfversammlung durch verbindliche Beschlussfassungen zur Lösung lokaler Probleme. In Schweden und Finnland waren es sogenannte Dorf-Aktionsgruppen, die nach der Bildung von Großgemeinden zu einer Form wurden, in der die Dorfbewohner die Geschicke ihres Dorfes in die eigenen Hände nahmen. Diese Aktionsgruppen waren ursprünglich auch die hauptsächliche Form, mittels derer Dorfgemeinschaften Mitglied der Dorfbewegung wurden. In Brandenburg, wo Unterschied zu Schweden und Finnland mit der Bildung von Großgemeinden auf der Dorfebene neue kommunale Strukturen wie Ortsbeiräte und Ortsvorsteher entstanden, wurde zunächst ein Provisorium gefunden, wie die Dorfgemeinschaft mittels einer zivilgesellschaftlichen Form in der Dorfbewegung vertreten werden konnte: Beitritt zur Dorfbewegung mittels einer schriftlicher Erklärung und Benennung einer Person des Vertrauens als Ansprechpartner, die nicht Ortsvorsteher ist oder Zusammen mit dem Ortsvorsteher diese Funktion ausüben kann. In Schweden und Finnland sowie in den meisten Ländern, in denen eine Dorfbewegung nach dem Modell dieser beiden Länder entstanden ist, haben sich die meisten Dorf-Aktionsgruppen in eingetragene Vereine umgewandelt, und diese Dorfvereine repräsentieren die jeweiligen Dorfgemeinschaften in der Dorfbewegung, Es ist zweifellos zu empfehlen, diese Erfahrung auch in Brandenburg und anderen Regionen bzw. Ländern anzuwenden, sodass der Dorfverein die Grundform wird, mittels der eine Dorfgemeinschaft zur Dorfbewegung gehört.
Die fünfte Lehre aus den internationalen Erfahrungen ist, frühzeitig regionale Dörfernetze als weiteres Strukturelement der Dorfbewegung zu bilden.
Regionale Dörfernetze sollten flächendeckend angestrebt werden als eine überschaubare Form, in der Dorfgemeinschaften in Erfahrungsaustausch treten können und die Hauptaufgabe der Dorfbewegung – die Förderung der Selbstorganisation der Dorfgemeinschaften – systematisch organisiert werden kann. Sie sollten jedoch nicht die einheitliche Dorfbewegung ersetzen oder zersplittern, weil das deren politischen Einfluss schwächen würde,aber sie können auch der zweiten Hauptaufgabe jeder Dorfbewegung – Stimme der Dörfer zu sein und deren Interessen zu vertreten - dienen. Nach den Erfahrungen der Brandenburger Dorfbewegung wäre es denkbar, einen „Tag der Dörfer“ zum Instrument der regionalen Dörfernetze zu machen. So könnte alle zwei Jahre ein landesweites Parlament der Dörfer, getragen von der Brandenburger Dorfbewegung, und alle zwei Jahre ein dezentraler regionaler Tag der Dörfer, getragen von den regionalen Dörfernetzen, stattfinden. Somit würde jede Dorfgemeinschaft im jährlichen Wechsel ein Brandenburger Parlament der Dörfer und einen regionalen Tag der Dörfer erleben und mitgestalten können.
Die sechste Lehre ist, dass eine Dorfbewegung nicht von Höhepunkten, sondern in erster Linie von der beständigen Selbstorganisation der Dorfgemeinschaften und ihrem Erfahrungsaustausch lebt.
Jedes Dorf ist so lebendig, wie seine Dorfgemeinschaft aktiv ist. Und jede Dorfbewegung ist so stark, wie ihre Dörfer lebendig sind. Vanessa Halhead hat in ihrer historisch bedeutsamen Studie von 2004 über die Dorfbewegungen in Europa auf den Punkt gebracht, wie Dorfbewegungen entstanden sind und was ihren Kern ausmacht: Dorfbewohner haben lokale Aktionsgruppen gebildet und mit ihnen die Geschicke ihres Dorfes in die eigenen Hände genommen. Ich habe für das, was Vanessa als den Kern bestimmt hat, den Begriff Selbstorganisation eingeführt, der durch seine drei Bestandteile Selbstbestimmung, Selbstgestaltung und Organisation der lokalen Kräfte handhabbar für soziologische Untersuchungen schien. Durch Untersuchungen in vielen Brandenburger Dörfern konnte ein Katalog von erfolgreichen Dorfprojekten bzw. Themen zusammengestellt werden, die selbstorganisiert waren und daher als machbar auch für andere Dörfer schienen.
Siehe: Kurt Krambach, Dorfbewegung – warum und wie? Berlin 2013, S. 46 ff.
Regionale Dörfernetze können aus diesen Auflistungen Themen ableiten für Erfahrungsaustausche, die für mehrere Dörfer relevant sind, oder können durch eigene Untersuchungen diese Themenliste weiter präzisieren. Es empfiehlt sich für Dörfernetze, unter zwei Gesichtspunkten die Arbeit mit den Dorfgemeinschaften zu thematisieren:
Erstens durch eine Bestimmung (Analyse) der vordringlichen Probleme der meisten ihrer Dörfer;
zweitens durch solche Themen aus dem Bereich Selbstorganisation, die für mehrere Dörfer relevant sind.
Danach bestehen zwei Möglichkeiten, den thematischen Erfahrungsaustausch mit Dorfgemeinschaften zu gestalten:
a) mit Hilfe der Vertreter von Dörfern, die positive Erfahrungen oder Erkenntnisse zu diesem Thema haben; b) mit Hilfe von vermittelbaren Experten.
Manche Dorfbewegungen (z.B. in Estland) haben gute Erfahrungen mit der Einrichtung eines Kompetenzzentrums gemacht, das Schulungen für Dorfakteure veranstaltet oder Referenten/Moderatoren zur Verfügung stellen kann.
In jedem Fall geht es darum, dass seitens der Dorfgemeinschaften ein Interesse an den Themen besteht bzw. geweckt werden kann. Vorrang sollten Themen/Probleme haben, die von Dörfern kommen und für mehrere von Wichtigkeit sind.
Die siebente Lehre besteht darin, dass Höhepunkte zum festen Bestandteil der Dorfbewegung gehören.
Das bedeutet einerseits, dass zwischen der Bewegung und dem Höhepunkt ein Zusammenhang dergestalt bestehen sollte, dass der Höhepunkt von der Bewegung vorbereitet wird, von ihr getragen wird und dass vom dem Höhepunkt Impulse für die Bewegung ausgehen sollten. Andererseits bedeutet es, dass der Höhepunkt etwas Besonderes, gegenüber der alltäglichen Bewegung Abgehobenes sein soll.
Für ein Ländliches Parlament oder Parlament der Dörfer (zur Wahl der zweiten Variante des Namens siehe
Abschnitt 2 — Was ist ein "Ländliches Parlament"? ) bedeutet das einerseits, dass das Parlament der Dörfer von einem Fachgremium konzipiert (Programm des PdD) und die Vorbereitung koordiniert werden muss, wobei möglichst viele Dorfgemeinschaften arbeitsteilig entsprechend dem Programm in die inhaltliche Vorbereitung einbezogen werden sollten. Das ist, vor allem durch die Vorbereitung der Präsentation von good practice – Beispielen in Vorträgen, Erfahrungsaustauschen oder Ausstellungen, aber auch durch die Teilnahme an Befragungen oder soziologischen Untersuchungen möglich. Dazu kann auch die Gewinnung weiterer Dorfgemeinschaften für die Dorfbewegung gehören. Aus dem Kreis der in diese Vorbereitungen Einbezogenen ergibt sich auch die Auswahl der Mitgestalter. Welche Impulse von dem Parlament der Dörfer ausgehen, hängt davon ab, wie es als besonderer Höhepunkt gestaltet wird. Das wird einerseits durch die Aktualität und Qualität der Präsentationen und die Übertragbarkeit der vermittelten Erfahrungen erreicht, andererseits aber durch eine Vielfalt und Komplexität des Programms, die es zu einem bleibenden Erlebnis machen. Dafür spielt der Zeitfaktor eine maßgebliche Rolle.
Am Ende des Abschnitts 6 wurde bereits im Zusammenhang mit dem für einen Tag geplanten ersten Brandenburger Parlament der Dörfer darauf verwiesen, warum die internationale Erfahrung, solchen Parlamenten ein mehrtägiges Programm zu geben, so wichtig für den Erfolg ist. Das wesentlich Neue – die Begegnung von Dorfakteuren und Politikern auf Augenhöhe – bei dem so wichtige Faktoren wie Vertrauen, Offenheit und Verständnis füreinander und die Probleme des Anderen, gemeinsames Suchen nach der Lösung von Problemen in der Praxis der ländlichen Entwicklung – all das geschieht eben nicht in traditionellen Fachkonferenzen, sondern in längeren gemeinsamen Erlebnissen, sei es in Seminaren oder Exkursionen, in den dafür geplanten Pausen und mehreren Abendveranstaltungen mit Geselligkeit und kulturellen Erlebnissen, aber dafür braucht es Zeit und sind kostbare 3 oder 4 Tage ein niedriger Preis. Und daraus erwachsenen für die verschiedenen Teilnehmer gemeinsame und verschiedene Impulse, die sie für ihr weiteres Schaffen mit nach Hause nehmen können. Und – wie an anderer Stelle schon einmal gezeigt: Die Rolle eines solchen Ereignisses als persönliches und gemeinsames Erlebnis stärkt auf einmalige Weise das Selbstbewusstsein der Dorfakteure und den Stolz darauf, Dorfbewohner zu sein.
Die achte Lehre besteht darin, dass die staatliche Anerkennung und finanzielle Förderung der Dorfbewegung unverzichtbar
für deren Erfolg und die Entwicklung lebendiger und zukunftsfähiger Dörfer ist.
Diese grundlegende internationale Erfahrung soll abschließend noch einmal hervorgehoben werden. Diese Erfahrung besagt, dass jede Dorfbewegung überwiegend durch ein hohes Maß
freiwilliger, ehrenamtlicher Arbeit zustande kommt, jedoch das entsprechend hohe Maß an Leitungs- und Organisationsarbeit allein durch ehrenamtliche Kräfte nicht ausreicht und daher
finanzielle Förderung eines hauptberuflichen Managements erfordert.
Dem steht ein unermesslich hoher gesellschaftlicher Nutzen gegenüber, der durch die Dorfbewegungen bewirkt wird.
Wie der Chefmanager der schwedischen Dorfbewegung in seinem Vortrag auf der internationalen Dorfkonferenz 2011 in Berlin berichtete
(siehe: READER S.18ff.), unterstützte
die schwedische Regierung die Dorfbewegung von Anfang an finanziell, so im Jahr 2010 mit der bis dahin höchsten Summe von 1.6 Millionen EURO; demgegenüber würden die 5000 Dorfaktionsgruppen,
aus denen diese Bewegung besteht, jährlich durch freiwillige Arbeit und Geldaufwendungen ca. 150 Millionen EURO für die Entwicklung ihrer Dörfer aufbringen. Also auch ökonomisch rentiert sich die
finanzielle Unterstützung der Dorfbewegung durch den Staat um ein Vielfaches.
Dorfbewegungen, ihre zivilgesellschaftlichen Strukturen in den Dörfern und ihre europäische Allianz sind zu anerkannten zivilgesellschaftlichen Partnern der Politik auf allen staatlichen Ebenen
und der kommunalen Ebene geworden.
Nationale Ländliche Parlamente und das europäische Parlament haben bewirkt, dass sie zu einer neuen Form der Begegnung von zivilgesellschaftlichen Akteuren und politischen Entscheidungsträgern geworden.
Die europäische Allianz der Dorfbewegungen und das Europäische Ländliche Parlament wurden von der EU und dem Europarat anerkannt und gefördert. Vertreter der Allianz der Dorfbewegungen wurden in
mehrere Fachgremien der EU berufen.
Dorfbewegungen haben national und international Wirkungen auf die nachhaltige Entwicklung, Lebendigkeit und Lebensfähigkeit der Dörfer als dauerhafte menschliche Existenzformen.
Dorfbewegungen haben nachweislich die lokale Demokratie auf der Dorf- und Kommunalebene gestärkt und bereichert.
Jede Dorfbewegung braucht eine staatliche finanzielle Förderung ihrer primären Hauptaufgabe, die Selbstorganisation der Dorfgemeinschaften zu fördern, die finanzielle Förderung von Dörfernetzen des
Erfahrungsaustauschs und die finanzielle Förderung von zivilgesellschaftlichen Parlamenten der Dörfer. Es reicht nicht aus, die eine oder andere Seite zu fördern, sondern dieses ganze Paket
braucht finanzielle Unterstützung.
Mit der Förderung darf keine Abhängigkeit, Kontrolle oder Einflussnahme entstehen. Erfahrung von Dorfbewegungen: Vermeidung der gemeinsamen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Trägerschaft
von Veranstaltungen der Dorfbewegung statt deren Förderung, um die Eigenständigkeit und den zivilgesellschaftlichen Charakter der Dorfbewegung nicht zu beeinträchtigen.
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Peter Backa und Staffan Bond gehören als Mitbegründer der finnischen buw. schwedischen Dorfbewegung zu den Veteranen der europäischen Dorfbewegung und unterstüzten deren
Etablierung in Deutschland; sie waren wie Kurt Krambach mehrere Wahlperioden Vorstansmitglieder von ERCA und wurden alle drei 2016 als "observer" berufen, um weiter im Vorstand beratend mitarbeiten zu können.
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Literatur:
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